Kunsthandwerker-Gruppe „Die Sieben Faulen“ im vor dem Sieben-Faulen-Brunnen im Hof des Paula-Becker-Modersohn-Hauses
Kunstwerkstätten „Die Sieben Faulen“
 
Die kunsthandwerklichen Werkstätten im Innenhof des Paula Becker-Modersohn-Hauses

„Was in unseren Werkstätten geschaffen wird,Katalog „Die 7 Faulen“, Hrsg. Bremer Werkschau GmbH, Bremen 1928 entsteht aus jenem ‚Fingerspitzengefühl‘ heraus, das, vom starken Strome unbewusster Kräfte getragen, an der Formgebung wesentlichen Anteil hat, wenn es auch letzten Endes die künstlerische Überwachung durch Professor Hoetger und der von seiner Persönlichkeit ausgehende starke Impuls ist, der allen Arbeiten der Böttcherstraße eigenes Gepräge und einheitliche Note gibt, wie sie das mittelalterliche Kunsthandwerk etwa in den Schule berühmter Meister fand.“

Ethos des Handwerks

So programmatisch und innovativ ein solcher, wohl von Bernhard Hoetger selbst formulierter Ansatz war, der die kunsthandwerklichen Werkstätten im Innenhof des Paula Becker-Modersohn-Hauses von ihrer Gründung an begleitete, so schien er aus zwei ganz unterschiedlichen Quellen gespeist zu sein: der hier anklingenden Verbindung zu den mittelalterlichen Bauhütten, in denen zwischen Handwerk und Kunst noch nicht unterschieden wurde; und der künstlerischen Lehre des 1925 von Weimar nach Dessau verlegten Bauhauses, das einen solchen Kerngedanken konsequent in seinem Lehrplan vertrat. Auch wenn es den Anschein hat: Die Böttcherstraße war kein Gegenentwurf zum zeitgleich praktizierenden Bauhaus, es waltete in beiden ein sehr verwandtes handwerkliches Ethos, das Bernhard Hoetger auf seine Weise seit 1922 in den „Worpsweder Kunsthütten“ verfolgte, den unmittelbaren Vorläufern der Werkstätten „Die sieben Faulen“. Das Prinzip der Kunsthütten war sehr einfach: Jeder Kunsthandwerker arbeitete selbständig in eigens von Hoetger erbauten kleinen Werkstatthäusern hinter dem Weyerberg. Das Material für den Kunsthüttenbetrieb wurde von Hoetger eingekauft, der mit den einzelnen Handwerkern pro Werkstück abrechnete. Alles Produzierte wurde von der „Kaffee Worpswede GmbH“ angekauft und in den zwei eigenen Cafés in Bad Harzburg (ab 1922) und Worpswede (ab 1924) vertrieben. Alleingesellschafterin der GmbH war Hoetgers Ehefrau Helene Natalie Haken, genannt Lee, die sich ausschließlich um das Geschäftliche kümmerte, allerdings auch Einfluss auf die Produktauswahl nahm. „Seine Frau schirmte ihn gegen alles ab, was seinem künstlerischen Wirken hätte abträglich sein können.“Walter Hundt, Bei Heinrich Vogeler in Worpswede, Lilienthal 1981, S. 95

Hoetger führte die Oberaufsicht und gab wie ein Formmeister Richtlinien für die Fertigung der zumeist als Unikate entstehenden Produkte, die die Handwerker durchaus nach eigenem Ermessen variieren konnten. „Das ist das ganz besondere an Hoetger; er veranlasst die Arbeitenden, die seinen Gedankengängen folgen, schließlich von sich aus seine Ideen weiterzuführen.“Walter Hundt, Bei Heinrich Vogeler in Worpswede, Lilienthal 1981, S. 93 f.

Worpsweder Kunsthütten 

Die Exklusivität der Produkte, welche keineswegs auf eine industrielle Fertigung ausgerichtet waren, und ihre naiv-originelle, manchmal ans Prähistorische erinnernde Anmutung machen, wie Hoetgers Schöpfungsmythologie, die Kunsthütten mit den Bauhaus-Werkstätten kaum vergleichbar. Auch ihre Konzentration aufs Kunstgewerbliche, auf manuell gefertigte und preiswerte Kleinserien ist mit den zeitgleich am Bauhaus entwickelten Prinzipien und architektonischen Visionen unvereinbar, zu denen Hoetger mit seinen eigenwilligen Bauten einen Kontrapunkt setzte. Der Zweck der Kunsthütten: „Herstellung künstlerischer Handarbeit zu möglichst billigen Preisen. Direkte Verbindung mit den Verkaufsstellen zur Minderung der Unkosten.“Erster Katalog der Worpsweder Kunsthütten, o. J.

Ins Jahr 1924 datieren die ersten von Ludwig Roselius vorgetragenen Überlegungen zur Einrichtung kunsthandwerklicher Werkstätten in der Böttcherstraße, auf deren Gestalt und Organisation Hoetger sofort programmatisch Einfluss zu nehmenBernhard Hoetger an Ludwig Roselius, 13. März 1924 suchte: „Warum bleibst Du nicht bei Deiner früheren Idee, Werkstätten und Absatzgebiet für nordisch eingestellte Kunsthandwerker zu schaffen, um mit der Kraft das sich einschleichende Wiener Kunstgewerbe zu verdrängen? Nur die echte Versenkung in die Schaffensfreudigkeit intuitiver Kräfte vermögen neues und Lebensfähiges zu schaffen … Halte die Werkstätten rein, unterlasse jedoch jede Imitation, verdränge jede historische Kunstform und Du hast ein Werk geschaffen, wofür Dir die Welt dankbar sein wird und die Dir und den schaffenden Kunsthandwerkern nützlich werden.“

Unklar bleibt, wer bei der ideologischen, nicht der künstlerischen Ausrichtung der Bremer Werkstätten federführend war; ob der Auftraggeber mit seinen germanophilen Schwärmereien für die „Urtiefen“ eines schöpferischen Geistes oder Hoetger mit seiner eigenen irrationalen Schöpfungsmythologie, die er wohl nur auf sich selbst zu beziehen schien - und dabei immer des Zuspruchs durch Roselius sicher sein konnte. „Lieber Ludwig,Bernhard Hoetger an Ludwig Roselius 14. November 1924 schön ist das Bewusstsein, irgendwo Liebe zu fühlen … Die Zeit selbst ist schon in ihrer Funktion richtig. Denn was sie braucht, bringt sie hervor, sie gebärt reichliche Kräfte und verfügt über die notwendigen Energien. Wo aber sind die Menschen, wodurch die Formwerdung bedingt ist und so als reife Frucht der Zeit zur Kraftspende werden könnte? Wann werden alle zersetzenden Momente durch den neuen Geist hinausgefegt und wann wird der kühle Intellektualismus durch den lebendig genialen Geist wieder verdrängt. Der Vater aller ist der Geist!“ 

Bevor Bernhard Hoetger Worpswede ganz aufgab, um in die Böttcherstraße zu ziehen, hatte ihn Ludwig Roselius eng an das Großprojekt gebunden und mit einem Jahresgehalt von über 300 000 Reichsmark ausgestattet, eine fürstliche Honorierung selbst für einen leitenden Architekten. Wiederholt hatte ihm der Mäzen den Rat gegeben, die Zelte am Weyerberg ganz abzubrechen, die Häuser zu vermieten und als Kapitalanlage zu behalten. Hoetger folgte seinen Weisungen, nicht nur aus wirtschaftlichen Überlegungen heraus, sondern weil er in Roselius den Partner für eine völkische Neuausrichtung von Kunst und Kunstgewerbe spürte. Den Rückgriff aufs Archaische als Idee und Konzept der Gegenwartskunst haben beide auf merkwürdige Weise zu teilen und zu propagieren vermocht. „Ich brauche Neuland, um mich selbst aufgeben zu können, denn ich will in die Tiefe und an die Wärme der Sonne“,Bernhard Hoetger an Ludwig Roselius, 29. August 1929 so Hoetger. Geradezu konsonant dazu suchte Roselius nach kulturellem Neuanfang durch Rückkehr zum Archaischen. „Bei den Primitiven müssen wir anfangen und versuchen, in Geist und Gefühl unserer Zeit das auszudrücken, was in uns liegt, dann werden wir zu neuen und großen Formen kommen. Zu deutschen Formen, die sich wie ein Dom erheben aus dem Wirrsal der Gemeinplätze.“Ludwig Roselius, Rede zur 14. Jahresversammlung des Deutschen Werkbundes in Bremen 1925. In: ders., Reden und Schriften, Bremen 1932, S. 37

Die im Paula Modersohn-Becker-Haus eingerichteten Werkstätten sollten nach dem Willen von Ludwig Roselius nicht nur der Neugestaltung der Böttcherstraße verpflichtet sein, sondern darüber hinaus eine Renaissance spezifisch nordischen bzw. niederdeutschen Kunsthandwerks einleiten, womit er in Hoetger den idealen künstlerischen Partner gefunden hatte. Der war wie stets auf der Suche nach einem ebenfalls nordischen Gesamtkunstwerk, worin vom architektonischen Grundkörper bis in die kleinsten gestalterischen Details alles wie aus einem großen gemeinsamen Formwillen herausgebildet schien.

Abb. 1
Kunsthandwerker-Gruppe „Die Sieben Faulen“ im vor dem Sieben-Faulen-Brunnen im Hof des Paula-Becker-Modersohn-Hauses; von links nach rechts: Emil Meyer, Otto Meyer, Franz Bolze, Arnold (Albert) Meyer, Walter Merssmann, um 1928

Die fünf Werkstätten der sieben Faulen

Nicht sieben, sondern fünf Werkstätten waren um den damals noch geschlossenen Innenhof des Paula Becker-Modersohn-Hauses herum gelegt. Die Schauseite zur Böttcherstraße nahmen eine Silberschmiede, eine Drechslerei und eine Tischlerei ein. Dahinter lag die keramische Werkstatt Otto Meiers, den Hoetger als einzigen Handwerker aus den Worpsweder Kunsthütten mit nach Bremen brachte. Neben ihm bestanden eine Töpferei, die mit Glasurtechniken arbeitete, und später eine Emaille-Werkstatt. Zu den beständigsten Mitarbeitern in den 1930er Jahren gehörten neben Otto Meier sein Bruder, der Silberschmied Emil Meier, und der Kunsttischler Friedrich Schanze. Sie werden bis 1937 als beständige Nutzer der mietfreien Werkstätten geführt, wo ab 1927 auch noch der Töpfer Jan Boon, der Tischler Anton Bouerdieck, der Silberschmied Franz Bolze und der Drechsler Walter Merssmann tätig waren. Bevor Emil Meier 1929 als Silberschmied kam, war die Werkstatt mit Albert Meier besetzt, der im Jahr darauf wieder ausschied, ebenso wie Boon und Bouerdieck. 1931, als auch Hoetger Bremen verließ, wurde Bolze und Merssmann gekündigt. 

Hoetgers Vorhaben einer dem Mittelalter nachempfundenen Werkgemeinschaft erfüllte sich kaum, der Bestand an Handwerkern war instabil, die Fluktuation groß, und unter den Angestellten gab es künstlerische und politische Differenzen, wie zwischen den NSDAP-Anhängern Bolze und Merssmann und dem Gewerkschafter Friedrich Schanze. Die wirtschaftliche Situation der beteiligten Kunsthandwerker dagegen war durchaus komfortabel, die Werkstätten wurden unentgeltlich zur Verfügung gestellt, sie waren in die „Werkschau GmbH“ eingebunden, die Handwerker als deren Mitarbeitern mit festem Gehalt bei ihr angestellt. Hinzu kam eine Beteiligung von etwa 50 % am Verkaufserlös eines jeden Werkes,Vgl. Ingo Kerls, Bernhard Hoetger, Kunsthandwerk 1906-1935, Diss. Bremen 2007, S. 149 ff. das vorab von der GmbH angekauft und an einem ihrer Vertriebsorte angeboten wurde. 

Abb. 2
Titelblatt des Verkaufskatalogs der „Sieben-Faulen-Werkstätten“ (Entwurf: Bernhard Hoetger), um 1928

Art Déco aus der Böttcherstraße

Die Auswahl der Handwerker traf Hoetger bis dahin selbst, der neben handwerklicher Sicherheit in der Materialverarbeitung immer auch die Originalität der Formgebung zum Maßstab nahm. Jener Primitivismus, den er anfänglich seinen Kunsthütten verordnet hatte, spielte in Bremen keine Rolle mehr, hier war das bürgerliche bis großbürgerliche Klientel anspruchsvoller und modebewusst, der Geschmack hatte sich im Verlauf der 1920er Jahre auf jenes Art Déco hin kapriziert, die im weitesten Sinne auch an den Produkten der „Sieben Faulen“ zur Anwendung kam. Mit hoher handwerklicher Geschicklichkeit und einem Talent zu origineller Formgebung verband man hier die Zweckmäßigkeit mit einer Eleganz, die an den Jugendstil erinnert, aber in seiner Schnörkellosigkeit doch ein ganz anderes, moderneres Lebensgefühl verrät.

Die Verbindung von Sachlichkeit und kühler Eleganz machte das Art Déco zu einem dekorativen Stil, der mit seinen linearen Ornamenten und seiner formalen Dynamik nach 1925 internationale Resonanz fand. In der Böttcherstraße selbst wurde mit dem 1931 vollendeten Haus Atlantis ein geradezu spektakulärer Bau des Art Déco eingeweiht, der in ganz Norddeutschland unvergleichbar blieb - und einzigartig im Schaffen Bernhard Hoetgers. Die Gäste der Böttcherstraße, so wollten es Bauherr und Architekt, sollten mit dem Erlebnis einer außergewöhnlichen Architektur die Wertschätzung eines Kunsthandwerks verbinden, das originell, stilsicher und kostbar erschien. In ihrem kunstvollen Spiel mit den Formen, luxuriösem Material und der edlen Patina des Einzelobjekts erreichten Tischlerei und Drechslerei der „Sieben Faulen“ eine Eleganz und Reife, die sich den besten zeitgenössischen Produkten dieser Dekorbewegung würdig zur Seite stellen konnte. Damit allerdings war der Traum von einer Regeneration spezifisch ‚nordischer‘ Kunstfertigkeit kaum noch einzulösen, denn die Orientierungen für den neuen Dekorationsstil kamen vor allem aus Frankreich. Was sich nach 1918 in den Bereichen Buchgrafik, Plakat und angewandte Kunst an neuen dekorativen Tendenzen äußerte, war 1925 in Paris zur „Exposition internationale des Arts Décoratifs et industriels modernes“ zusammengeführt worden, der Namensgeberin des neuen Stils. Es war die bis dahin umfassendste Gesamtschau des modernen Industriedesigns und wurde 1966 in Paris noch einmal nachinszeniert, um das Art Déco endgültig als ein Kapitel europäischer Kulturgeschichte festzuschreiben.

Abb. 3
Sieben-Faulen-Werkstätten, Zigarettenkasten, Fritz Schanze
Quelle
Hans Pries (Foto)

Niedergang und Auflösung der Werkstätten

Ungeachtet des Einschwenkens auf die modischen Trends schien der Niedergang für die Werkstätten „Die sieben Faulen“ besiegelt, als der Zustrom des internationalen Tourismus in den 1930er Jahren allmählich versiegte und bald nur noch drei Kunsthandwerker als „Die sieben Faulen“ in der Straße tätig waren, unter ihnen Friedrich Schanze und Otto Meier, die sich mit ihren außergewöhnlichen Produkten im Umfeld der Hansestadt eine eigene Klientel geschaffen hatten. 

Im Nationalsozialismus fanden die Werkstätten „Die sieben Faulen“ und ihre so gelungene und vielgestaltige Verschmelzung von großem künstlerischem Konzept und solidem Handwerk ein allmähliches Ende. Otto Meier praktizierte noch bis 1940, dann wurden er und Friedrich Schanze zum Kriegsdienst einberufen, Emil Meier folgte im Jahr darauf. Bei den Bombardierungen Bremens wurden auch die verwaisten Werkstätten im Hof des Paula Becker- Modersohn-Hauses zerstört, später wieder aufgebaut und vermietet. Name und Idee der Werkstatt „Die Sieben Faulen“ wurden nicht wiederbelebt. Doch gehört es auch heute noch zu den Besonderheiten der Straße, dass die von Roselius einst hierher verlegte Einheit von Produktion und Vertrieb hochwertiger Handwerkskunst in Teilen nach wie vor besteht.

Literatur

  • Bernhard Hoetger, Nordische Formung, in: Zeitschrift „Die Böttcherstraße“, August 1928, Heft 4
  • Katalog „Die 7 Faulen“, Hrsg. Bremer Werkschau GmbH, Bremen 1928
  • „Die 7 Faulen“, ungebundene Einzelblätter, Bremen um 1931
  • Ingo Kerls, Bernhard Hoetger. Kunsthandwerk 1906 bis 1935. Dissertation Bremen 2007

Text

Bernd Küster